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Geborgen in unseren Herzen

Es ist ein grauer, kalter Regentag im Norden Hamburgs. Doch in der kleinen Kapelle auf dem Friedhof Öjendorf leuchten bunte Kerzen vor dem Altar. Sie tragen die Farben des Regenbogens und es kommen immer mehr hinzu. Die Atmosphäre ist getragen von Mitgefühl und Wärme, andächtige Stille füllt den Raum. Während leise Musik im Hintergrund läuft, betreten nacheinander immer mehr Familien und Angehörige den Raum, in der Hand ein kleines Kerzenlicht in einem farbigen Glas. Langsam gehen sie nach vorne zum Altar, vor dem sie die Lichter zu Beginn der Trauerfeier abstellen, als Symbol für das, was sie heute hier verabschieden möchten. Einige der Lichter bilden ein größeres, buntes Herz. Es leuchtet hell neben dem kleinen Korbsarg. Er enthält eine Urne mit der Asche ihrer kleinen Sternenkinder, deren Herz viel zu früh aufgehört hat zu schlagen.

Als die Pastorin die Abschiedsfeier beginnt, versucht sie Worte zu finden, die die Eltern auffangen: „Manchmal passiert es, dass eine kleine Seele die Erde nur streift. Und dennoch verändert dies das Gesicht der Erde, denn sie hinterlässt Spuren in den Herzen derer, die sie erwartet haben.“ Einfühlsam spricht sie davon, dass zwar jemand gegangen ist, aber dennoch im Herzen bleibt. Dies steht symbolisch im Zentrum der Trauerfeier: Die Verstorbenen sind zwar aus dieser Welt gegangen, finden dort aber dennoch ihren Platz.

Es sind rund 60 Teilnehmende, Familien, Freunde und Angehörige, die sich heute hier versammelt haben und deren Leben davon betroffen ist. Bis zu 1000 Gramm haben ihre kleinen Kinder gewogen, die heute hier gemeinsam bestattet werden.

Den Gefühlen Raum zu geben ist ein wichtiges Anliegen der Trauerfeier, denn das Thema Fehl- und Frühgeburt ist häufig noch immer ein Tabu. Betroffene haben oft das Gefühl, nicht darüber sprechen zu können oder dass kaum jemand in ihrem Umfeld sie wirklich versteht. Dabei ist im Schnitt jede sechste Frau betroffen und damit auch die Personen, die in ihrem näheren persönlichen Umfeld leben.

„Unser Herz scheint nur ein Muskel, ein lebenswichtiger. Dort ist aber auch der Sitz von Emotionen, Leidenschaft, Liebe und Freude. Dort spürt man auch Angst, Enttäuschung und Wut. Ein gebrochenes Herz ist seelisch nachweisbar.“

Die Pastorin spricht davon, dass neben Ängsten, was die familiäre Zukunft betrifft, viele Betroffene eine ungebrochene Wut in sich tragen. Wut darüber, warum Gott das zugelassen hat und dass er nicht immer der Weltenlenker ist, wie man ihn sich vorstellt. Und dass auch in der Bibel nicht immer Glück und Gelingen versprochen werden, sondern Kummer, Leid und Tränen damals ebenso Teil des Lebens gewesen sind wie heute. Und jetzt?

Sie spricht davon, dass Gott uns einlädt, zu vertrauen. Mit ihm in Beziehung zu treten in dieser Situation, dass er uns beistehen und bei uns sein will. „Es ist das Vertrauen zueinander und zu Gott. Ihr Kind und Sie sind von Gottes Liebe gehalten. In seiner Liebe und seinem Licht sind die Kinder geborgen, so, wie in Ihren Herzen.“

Immer wieder werden zwischendurch Lieder gespielt, die das Thema aufgreifen oder das Gesagte untermalen. „Tears in Heaven“ von Eric Clapton oder „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Siegfried Fietz beim sich anschließenden Auszug aus der Halle untermalen das Gesagte. Es herrscht eine fast meditative Stimmung. „Wenn Sie die Augen schließen, spüren Sie ihr Kind im Herzen. Und dort können Sie es wiegen.“

Das Weidenkörbchen wird gesegnet und die Namen der Kinder verlesen, bevor sich alle auf den Weg zu einem Platz auf dem Friedhof machen, wo die Kleinen beigesetzt werden und an sie erinnert werden soll.

Die meisten der Betroffenen, Eltern, Angehörigen und Freunde, die heute an der Trauerfeier teilnehmen, kennen sich nicht. Und dennoch wirkt es, als würde sie ein unsichtbares Band miteinander verbinden. Es herrscht eine selten vertraute Atmosphäre untereinander. Als die Gruppe langsam zur Sternenkinder-Grabstelle geht, stützen sich die Menschen gegenseitig. Mal hört man leise Gespräche, mal verhält man sich zugewandt und nimmt jemanden kurz in den Arm.

Die Stelle, an der die Sternenkinder bestattet sind, erkennt man schnell, denn sie ist bunt und unterscheidet sich von dem Bild, das man sonst spontan mit einem typischen Friedhof verbindet:

Viele kleine Andenken und Erinnerungen, die sich einem fröhlich entgegenzustrecken scheinen, Erinnerungssteine, bunte Windräder, Lichter, Fotos, Blumen und vieles mehr stoßen einen sofort darauf, dass dies hier nicht nur ein Ort der Trauer, sondern ein bunter Ort der Erinnerung sein soll: Viele Zeichen der Liebe gibt es dort. Dafür, dass das, was man verloren hat trotzdem für immer bleiben soll, verpackt in Farben. Als Zeichen dafür, dass es immer noch da ist, wenn auch anders.

Die Teilnehmenden stellen sich in einem großen Kreis um die kleine Grabstelle, in die der Weidenkorb eingelassen werden soll. Es werden nochmals die Namen der Kinder verlesen. Nacheinander stellen sich alle an das Grab und werfen eine Blume, ein Andenken oder auch Erde auf den kleinen Sarg. Und verweilen dort eine zeitlang.

Als die Anwesenden schließlich diese Stelle verlassen ist eines gewiss: Ihr bleibt geborgen in unseren Herzen.

 

Info: Die Trauerfeier für Sternenkinder findet viermal jährlich auf dem Friedhof in Hamburg Öjendorf statt, es gibt sie seit dem Jahr 2004. Bis Ende 2021 fand diese Feier in Kooperation mit dem Verein Verwaiste Eltern und Bethanien Sternenkinder Beratungsstelle Hamburg statt. Seit Januar 2022 organisiert dies nun wieder allein der Verein der „Verwaisten Eltern“. Weitere Infos unter: www.bethanien-stiftung.de/angebote/bethanien-sternenkinder/sternenkinder-hamburg und www.verwaiste-eltern.de.

Bis Februar 2022 gab es parallel außerdem ein Angebot zur Beratung von Sternenkinder-Eltern im Rahmen von Einzel-, Paar- und Gruppengesprächen in geschütztem Rahmen, das regelmäßig angenommen, aktuell aber aufgrund von Neustrukturierung eingestellt wurde. Es gibt außerdem ein regelmäßig stattfindendes Sternenkindereltern-Café, wo Eltern sich austauschen können.

Bundesweit gibt es viele ähnliche Initiativen, die Angebote in unterschiedlicher Form vor Ort anbieten. Hier kann man jeweils z.B. unter einer entsprechenden Stichpunkteingabe in einer Suchmaschine im Internet recherchieren, auch, was Beratungsangebote angeht oder sich bei caritativen Einrichtungen vor Ort erkundigen.

Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Anja Paschen, die sich bereit erklärt hat, sich Zeit zu nehmen, Fragen zu beantworten und freundlicherweise einen Teil des Bildmaterials zur Verfügung gestellt hat. Sie ist freiberuflich im Bereich der Sternenkinder-Arbeit tätig.

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