„Lebendig ist das Wort, was ihn im Bauch am besten beschreibt“
Erfahrungsbericht über Sternenkind Josua – still geboren
[Triggerwarnung]
2012 war ich mit unserem ersten Sohn schwanger. Wir waren überglücklich. Bei der Untersuchung um die 12. SSW wurde der Arzt auf einmal sehr ruhig. Dann sagte er, dass er etwas entdeckt hätte, aber nicht ganz sicher sei. Er würde uns gerne zu einem anderen Arzt mit besseren Geräten und Möglichkeiten überweisen, um ganz sicher zu gehen. Dies war am Tag vor Gründonnerstag. Wir kriegten also erst nach den Ostertagen einen Termin. Die gesamten Feiertage waren wir in einem ständigen Wechsel aus Angst und Hoffnung gefangen. Enge Freunde und Familie informierten wir und sie waren für uns da, beteten für uns, halfen uns, die Zeit schneller rumzukriegen.
Nach Ostern dann der Termin. Und die Befürchtung bestätigte sich. Unser Sohn war schwer krank und seine Überlebenschancen gering. Der Arzt konnte nicht sagen, ob unser Sohn noch während der Schwangerschaft, während der Geburt oder kurz danach versterben würde. So wurde uns auch das Thema Abtreibung nahegelegt. Und wir sollten zum Humangenetiker, um abklären zu lassen, ob es erblich sein könnte, auch wenn es sehr wahrscheinlich „ein einmaliger Schicksalsschlag“ sei.
Uns wurde zur Abtreibung geraten
Wir waren zunächst wie betäubt und voller Trauer. Und diese Zeit der Entscheidung, ob wir die Schwangerschaft fortführen oder beenden wollen, war im Nachhinein die schlimmste Zeit überhaupt. Wir haben uns gefragt, was wohl das Beste für unseren Sohn sei. Von außen wurde uns zT geraten, die Schwangerschaft zu beenden, damit wir schneller loslassen könnten, damit es mir nicht zum gesundheitlichen Nachteil würde oder oder oder. Ich hingegen war nur auf unser Kind fokussiert und habe viel über Schmerzempfinden im Mutterleib und andere Dinge recherchiert. Ich wollte nicht die „Lösung“, die vermeintlich am besten für mich wäre, sondern für unser Kind. Egal, wie weit die Schwangerschaft ist, ich glaube, man ist einfach Mama ab dem Moment, wo es startet…
Letztendlich haben wir uns dafür entschieden, die Schwangerschaft fortzuführen. Alle Untersuchungen deuteten darauf hin, dass es unserem Sohn in meinem Bauch gut ging. Er wuchs, wurde aktiver, zeigte keinerlei Anzeichen von Problemen. Außer seiner Erkrankung eben. Und sobald wir die Entscheidung getroffen und auch den Ärzten mitgeteilt hatten, kam so ein Frieden in unser Herz, dass ich es kaum glauben konnte. Ich war entspannt und bereit, den Weg zu gehen, solange er dauerte. Ich wusste und spürte, dass es unserem Sohn in meinem Bauch gut ging. Und ich versuchte, ihm all meine Liebe zu vermitteln, wie ich nur konnte. Ich schätze, dass Eltern, vor allem Mütter, wissen, wie ich das meine.
Ein so lebendiges Kind, das doch sterben wird.
Und die Schwangerschaft verlief ohne große Probleme. Natürlich mit den üblichen Wehwehchen bei mir. Aber unserem Sohn ging es gut. Er wurde immer größer und immer aktiver. Er turnte wie wild in meinem Bauch, strampelte und boxte mehr, als unsere Kinder, die nach ihm kamen. „Lebendig“ ist das Wort, was ihn am besten beschreibt. Verrückt. Ein so lebendiges Kind, das doch sterben wird. Ich konnte es kaum fassen. Und auch die Ärzte bestätigten mir und uns immer wieder, was für ein unglaublich lebendiges Kind wir doch hätten.
Zum Stichtag wollte unser Sohn noch nicht auf die Welt. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Wo es ihm in meinem Bauch doch so gut zu gehen schien und seine Lebenserwartung außerhalb meines Körpers so gering war. Als würde er es wissen.
Irgendwann war dann aber doch die Geduld der Ärzte zu Ende und die Geburt wurde etliche Tage nach dem Stichtag eingeleitet. Aber unser Sohn wollte nicht raus. So zog sich alles sehr lange hin, im Nachhinein gedacht, wären andere Methoden und Möglichkeiten vielleicht besser gewesen, aber wir wussten es nicht besser. Und die Ärzte und die Hebamme vielleicht auch nicht. Es entscheidet sich nicht häufig jemand, sein Kind auszutragen, wenn er von der Diagnose erfährt. Von daher waren wir für das Klinikteam eine Herausforderung und ich mache ihnen keinen Vorwurf.
Und dann kam der Moment, in dem ich spürte, dass er nicht mehr „mithalf“
Die Geburt zog sich lange hin und auch mit „Nachhelfen“ kamen wir nicht über einen bestimmten Punkt hinaus. Während der Presswehen merkte ich dann, dass nicht nur ich sehr erschöpft war, sondern auch unser Sohn. Und dann kam der Moment, in dem ich spürte, dass er nicht mehr „mithalf“. Ich wusste, dass er gestorben war, noch bevor die Ärztin oder die Hebamme etwas bemerkten und sagten. Letztendlich endete die Geburt dann in einer nächtlichen Not-OP. Unsere Familien warteten derzeit im Krankenhaus und konnten meinen Mann etwas auffangen. Am nächsten Tag konnten mein Mann und ich dann unseren Sohn in den Arm nehmen und uns verabschieden, noch ein paar Photos machen, ihn streicheln. Zu gerne hätten wir Bilder von einem Photographen gehabt, zB über dein-sternenkind, aber es gab damals niemanden, der in unserer Nähe tätig und im Netzwerk war.
Dass wir unseren Sohn beerdigen konnten, dass sein Körper einen Platz auf dem Friedhof hat, dass wir den Trauergottesdienst ganz frei gestalten durften und dabei von lieben Menschen musikalisch und mit Worten und Taten unterstützt wurden, das hat uns geholfen, loszulassen. Das und das Wissen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Dass es ihm so lange so gut ging. Dass er lebendig war und sein konnte. Dass wir ihn eines Tages wiedersehen werden.
Meine Hebamme war mir eine ganz besondere Unterstützung
Und ich bin dankbar für meine wunderbare Hebamme, die mich während der Schwangerschaft und im Wochenbett (und bei jedem weiteren Kind danach) begleitet hat. Nur bei der Geburt musste eine Klinikhebamme dabei sein. Aber ansonsten war es wirklich ein Segen, eine erfahrene und Zuversicht ausstrahlende Hebamme zu haben, die sowohl den Geburtsvorbereitungskurs als auch den Rückbildungskurs quasi für mich alleine gemacht hat, damit ich nicht mit all den vorfreudigen und glücklichen Muttis üben muss. Ich wünsche wirklich jeder Sternenmama so eine tolle und einfühlsame Hebamme, auch wenn ich weiß, dass es nicht überall welche gibt..
Was mich auch sehr bewegt und getröstet hat, sowohl während der Schwangerschaft, als auch hinterher, war die Musik von Steven Curtis Chapman. Er hat selbst eine Tochter verloren und seine Trauer, seinen Schmerz und seine Fragen in Liedern verarbeitet. Seine Frau Mary Beth tat dies in einem Buch. Beides hat mir Hoffnung gegeben, mich getröstet und mir Mut zugesprochen, dass ich nicht allein bin in dieser Situation. Und dass man es schaffen kann, unter der Trauer nicht zu zerbrechen. Bei der Beerdigung unseres Sohnes haben wir das Lied „with hope“ spielen lassen.
Dort heißt es: Wir können weinen mit Hoffnung. Wir können mit Hoffung auf Wiedersehen sagen. Denn wir wissen, unser Auf Wiedersehen ist nicht das Ende. Wir können mit Hoffnung trauern. Denn wir glauben mit Hoffnung, dass wir dein Gesicht wiedersehen werden.